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Der Rudeltrieb

Das Wort Trieb hier anzuwenden, mag den Leser erstaunen, der nun weiss, dass dieses Wort viel Falsches vorgaukelt, was heute alles so als Trieb bezeichnet wird. Aber hier stimmt es. Denn in einem Rudel zu leben, ist ein Uranliegen, ein Urbedürfnis von Hunden. Wir isolieren sie aber, und schaffen damit ein Problem.

Ein Antrieb, den wir spätestens dann - zu unserer menschlichen Enttäuschung - erleben, wenn sich unser Einzelhund (meist werden eben Einzelhunde, entgegen ihrer geselligen Art) gehalten von uns trotz Androhung von "Strafe" oder Verbots entfernen, wenn sie andere Hunde sehen.

Selbst wenn sie schon mal beim anderen Hund unerwünscht waren, beziehungsweise abgewiesen worden sind: es zieht sie unweigerlich hin zu anderen Hunden. Und zwar vor allem dann, wenn sie Einzelhund sind. Der Antrieb zum anderen Artgenossen ist stärker als viele Hundehalter und auch Ausbilder dies wahrnehmen wollen. Mitunter sogar aus Eifersucht: warum zieht es meinen Hund zu einem anderen und nicht zu mir?

Ein Hund, der jedoch bereits in einem auch kleinen Hunderudel aufwächst und lebt, der hat das nicht mehr so nötig. Es ist also ein ganz ureigener Antrieb, ein Rudel zu bilden. Siehe auch lebenstüchtige und hundlich - sozial - sehr artgerecht lebenden Paria, oder Strassen- oder Streunerhunde. Diese Hunde werden von etlichen selbstsüchtigen - Tierfanatikern gerne entführt - in einen goldenen Käfig in eine Wohnung oder einfach andere Verhältnisse, aber meist als Einzelwesen.

Kein Rudel- oder Herdentier geht freiwillig aus dem sicheren Rudelverband. Es wird ausgestossen (Verletzung oder Verlust der Führungsposition). Entweder haben sie die Chance, sich einem neuen Rudel anzuschliessen oder sie bleiben Einzelgänger und haben viel schlechtere Überlebenschanchen, weil sie nicht als Einzelkämpfer ausgerüstet sind. Das gilt für alle Herdentiere. Haushunde haben im Gegensatz zu Wildtieren vor "geraumer" Zeit kapiert, dass Menschen ein komfortables Ersatzrudel bilden können, mitunter drängen "tierliebe" Menschen sich geradezu als "Retter" auf.

Die Rangposition bei einer Aufnahme in ein neues Rudel ist so unterschiedlich, wie es Rudelcharaktere gibt: von tödlicher Abwehr bis Übernahme der "Alpha"-Position.

Diesen Trieb kann man auch bei einem Einzelhund nutzen und fördern, oder ausgleichen, indem man ihn oft genug anderen sozialfähig gezogenen Hunden zuführt. Dann erlebt man wieder, wie sich Hunde selber ordnen und verstehen. Eine ganz wichtige Grundvoraussetzung für ein hundegerechtes Leben - für Einzelhunde. Die Ausbildungsstätten sind da nur ein Beispiel, wie man diesen Mangel zeitweilig und durchaus problematisch (durch aggressive Reize oder Isolation) beheben kann.

Ich will das Verständnis für diese ureigenste Lebens- und daher Handlungsweise des Rudeltiers Hund wieder schärfen.

Ich habe etliche Male ein freilaufendes, sich nicht immer kennendes Rudel an mich gebunden, zeitweilig, aber immerhin, wenn ich folgenden Rudeltrieb ausgenutzt habe: Ich habe die Hunde (die ich mir vorher und vor allem den Umgang der Besitzer mit ihnen angeschaut habe), wenn sich eine einigermassen sozialverträgliche Grundordnung, auch eine oberflächliche, herausgeschnuppert- und kommuniziert hat, von den Besitzern getrennt. Kein störender Einfluss von aussen.

Das Rudel sich selber ordnen lassen, bis auf Beschädigungen, da muss man dann trennen. Ist aber bei einem ausreichend grossen Rudel eher selten, es sei denn, die Hunde sind zur Asozialität erzogen worden, der Hund kann hier für nichts.

Die Entfernung aus diesem Rudel - gegen den Trieb - ist jedoch eine harte Zurechtweisung, ja eine Strafe für Rudeltiere. Siehe auch Trennungsangst beim Alleinbleiben-Müssen.

Ich korrigiere unflätige Welpen in dieser Form höchst selten. Aber wenn sie, wie zum Beispiel eine drei Monate alte Pitbull-Hündin, sich festbeissen will in andere Altersgenossen, wie leider häufig bei diesen und zwei anderen Hundetypen selektiert, dann entferne ich sie auch aus dem "Spielplatz im Rudel". Ich habe dies von meinem Rüden abgeschaut, der sich als guter Welpenerzieher - so lange er nicht genervt war - erwies.

Und von einem sehr gut sozialisierten Bullterrier-Rüden, der am Tage der Angabe seinen Wurf nach mal kontrollierte und - wie mein Rüde - einen unflätigen Welpen mal eben mit dem Fang am Genick aufschnappte und aus dem Lager heraus absetzte. Wenn es sein musste, so oft, bis der Welpe nicht mehr aggressiv war.

Ich nahm die Pitbullwelpenhündin auch am Genick. Ich sagte gar nichts, also auch kein Verbotszeichen, weil sie dies in ihrer kleinen Aggression schon nicht mehr wahrnehmen würde, und setzte sie einen Meter neben dem Spielplatz der anderen Welpen ab - aus vielleicht zwanzig Zentimetern Höhe öffnete ich die Hand und liess sie den Rest runterplumpsen. Wie das eben die Hundeeltern auch machten. Bei Wölfen habe ich das auch gesehen.

Wenn sie wieder sich ins Getümmel stürzen wollte, hielt ich sie davon ab. Oder ich hievte sie wieder raus. Bis sie heulte, vor Unsicherheit oder Enttäuschung. Ich liess sie erst noch ein wenig aussen vor - und zappeln. Dann erst holte ich sie quasi ab und streichelte sie. Diese Zärtlichkeit soll sie spüren und milder stimmen. Was es dann auch tat.

Ich erlebte die Hündin später mal als verspieltes, unermüdliches Mini-Krokodil mit meinem Rüden. Und als ausserordentlich faire Mitspielerin. Weil auch die Besitzer-Familie ein sehr faires und harmonisches Miteinander vorführten. Wie das Rudel, so das Einzeltier.

Das Abliegen bei Entfernen des Hundehalters ist für Hunde eine harte Prüfung. Oder das zeitweilige Alleinlassen zu Hause oder im Auto oder wo auch immer. Das Entfernen aus dem Rudel wird nur auf Vertrauen basieren können und für den Hund zu ertragen sein.

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Was eigentlich ein "Alpha" im Haushunderudel unter der wirklichen Führung eines oder mehrere Menschen ist, habe ich schon im Absatz der Rangordnungen erklärt. Vor allem das Missverständnis, dass ein Haushund niemals "Alpha" sein darf.

Kategorisch: Die Alpha-Position hat immer der Menschliche Rudelführer zu behalten. Ein oberster Hund unter menschlicher Führung, wie eben alle unsere Haushunde (Ausnahme eben: Wildcaniden), ist daher immer nur ein Beta.

Und noch mal, für die, die dies immer noch falsch predigen: Keine Rangfolge ist festgeschrieben, sie kann sich verändern, der Unterste kann sich nach oben kämpfen, der Höchste kann seine Rang verlieren. Es ist immer nur ein Prozess, nie ein Dauerzustand.

Hier will ich aber als Alpha wissen, welche: Rangfolge innerhalb des Rudels herrscht, wer quasi mein Assistent ist und Führungseigenschaften übernimmt. Das heisst noch nicht, dass er der einzige Alpha (der Erste im Rudel) innerhalb des Rudels ist. Es kann sein, dass ein oder zwei Hunde diese Frage eben passiv so lange unbeantwortet lassen, bis sie sich durch Herausforderung stellen müssen.

Ein Leittier managt das Rudel geschickt, ordnet innerbetrieblich, führt an gute Plätze, zeigt dem Rudel Nahrungsquellen. Das sind meist die klügsten Hündinnen. Sie übernehmen auch die Erziehung von Jungtieren, sie ordnen auch das Rudel, wenn jemand zu aufdringlich wird.

Ein Alpha darf das Rudel vor unerwünschten Eindringlingen verteidigen und die Leithündin decken. Er, nicht immer der äusserlich körperlich stärkste, aber der erfahrenste und klügste Rüde, muss sich auch gegen Herausforderer-Rüden stellen. Nicht zwangsläufig ist der Hund, der mir als Alpha (für die anderen, nicht unbedingt für den, der dies noch nicht akzeptiert) nicht sofort oder zögerlich folgt, der Omega (der letzte im Rudel). Es kann ein Ranghoher im Rudel sein, der meine Rolle nur schwerlich abgeben will, dies aber nicht in einen Rangordnungskampf austragen will, weil er weiss, er wäre unterlegen.

Dies könnten meist sehr selbstsichere, nicht auf Futtertrieb erpichte oder gar konditionierte Hunde sein, vermutlich oft Herdenschutzhunde.

Es sind hauptsächlich die körpersprachlichen, weniger die lautsprachlichen Abläufe, die zu beobachten sind im inneren Verhältnis.

Die Sicherheit der "Ausstrahlung", bekräftigt durch die Körperhaltung gegenüber Herausforderungen und bestätigt durch Rangniedrigere, die lassen eine Beurteilung zu. Und nicht eine von Menschen manipulierte Situation.

Einigermassen sozial aufgewachsene und aufgeweckte Hunde kann man nicht täuschen. Sie lesen die ungeschickten Körpersprache des Menschen sehr gut. Sie passen sich an, aus Überzeugung oder Angst.

Wer sich jedoch nicht durchsetzen kann, und damit meine ich nun Menschen, die Rudeltiere halten, wird nie Alpha. Er hat ein Rangordnungsproblem, das er an sich selber lösen muss.

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©Rainer Brinks 2001

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